Kurzgeschichte: Eine deutsche Journalistin bei den Guerilleros im Libanon

(mit Auszügen aus dem Buch: Eine Kriegsberichterstatterin im Nahen Osten) „Natürlich sind Sie uns auch weiterhin herzlich willkommen“ sagte der Scheich, „aber Sie wären dann genau wie wir in permanenter Lebensgefahr. Machen Sie sich da besser keine Illusionen“. „Wir sind jetzt einmal hier und wir haben schon lange auf die Gelegenheit gewartet, die Kampfeinsätze der Hisbollahs im libanesischen Grenzgebiet journalistisch zu begleiten und Illusionen hatten wir von Anfang an nicht“, antwortet ihm mein Freund Bob, Chef vom Dienst eines überregionalen arabischen Wochenmagazins.

Dabei bringt er es doch tatsächlich fertig, fast verschlafen auszusehen, obwohl er innerlich schon ganz aufgeregt ist. Klar ist, die Guerillas sind jetzt zu allem entschlossen. Wir befinden uns hier nicht in einer Art touristischem Disneyprogramm in Guerilla Country. Für weitere Überlegungen bleibt keine Zeit mehr. Schon geht es so gebückt wie möglich unter der Führung eines Guerillero einen schmalen Pfad in die Felswand hinauf. Eigentlich sollten wir, eine kleine Gruppe von 5 Personen, einen Abstand von mindestens zehn Meter zwischen uns halten, aber eine offenbar uns allen eigene unbestimmte Angst lässt uns auf wenige Meter voneinander aufschließen.

Ich selbst habe große Mühe mit meinen normalen Straßenschuhen in dem Geröll nicht ins Rutschen zu kommen. Da ich als Erste im Gänsemarsch unserem Guerillero folge, muss er sich mit sichtlichen Zeichen der Ungeduld seine Geschwindigkeit immer wieder der meinigen anpassen.

Nach etwa vierzig Metern Kletterstrecke verbreitert sich der Pfad und führt in einer scharfen Kurve den Berg hinauf. Er ist hier bewachsen mit einer Ginsterart und dicht eingegrenzt von halbhohen Weißdornbüschen. Und diese retten uns vermutlich das Leben. Denn plötzlich erzittert die Luft von einem ungeheuren Hubschraubergeknatter nicht weit unter uns und wir werfen uns wie auf Kommando in den Schatten dieser Sträucher. Da sind die Hubschrauber schon ganz in unserer Nähe, halten sich erschreckend lange auf unserer Höhe, senken sich dann plötzlich weiter hinab , wodurch wir ihrem Blickwinkel wieder vollständig entzogen sind.
Das war knapp meint mein Freund Bob. Uns ist aber klar, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ohne eine ersehnte Pause, die Felsen hinaufzujagen, wo kaum noch ein Strauch uns irgendwelchen Sichtschutz bieten könnte. Nach wenigen Metern lassen wir uns im Schatten hoch aufragender Felswände erschöpft nieder. „Die Hubschrauber der Israelis werden gleich wieder hier sein“, wendet sich unser Guerillero-Wegführer an meinen Freund Bob. Wir können hier nicht bleiben. Es gibt hier nirgends einen Sichtschutz. Sie können uns hier abknallen wie die Hasen, einen nach dem anderen“. In erstaunlicher Eintracht beeilen wir uns nun unter Einsatz aller Kräfte ihm nachzufolgen. Schließlich erreichen wir einen spektakulären Felsdurchgang, dessen glatte Wände sich über uns immer mal wieder dramatisch zusammenschließen. Ich mache im Laufschritt rasch einige Fotos, beeile mich aber dennoch so gut es geht mit der Gruppe Schritt zu halten.

Der Durchgang ist mit mindestens siebenhundert Metern länger als ich erwartet habe. Er ist demnach als Fluchtweg möglicherweise brauchbarer als der Scheich uns hat glauben lassen. Als wir ihm folgen gelangen wir allerdings auf einen warm besonnten Vorplatz, der breit wie eine Hotelterrasse ist und auch als Landeplatz für einen Hubschrauber ausreichen könnte. Hier fühlen wir uns wie auf einem Präsentierteller allen möglichen und unmöglichen Verfolgern schutzlos preisgegeben. Jetzt begreife ich die Nervosität unseres Wegführers, denn von beiden Ausgängen dieses Felsdurchganges her in die Zange der Verfolger genommen, müsste jede Gegenwehr der Guerillas in Schall und Rauch ersticken, allemal wenn solch ein Rauch auch noch chemisch angereichert wäre. Uns ist sofort klar, dass wir hier so schnell wie möglich wegmüssen. Wir verschwenden kaum einen Blick an das beeindruckende Panorama der Landschaft. Der Abstieg auf dem anderen Ende des Felsdurchganges übertrifft unsere Befürchtungen noch und gestaltet sich ungleich mühevoller als der Aufstieg. Wir müssen in der Tat ein jammervolles Bild bieten wie wir da mal rutschend, mal an eben noch rechtzeitig ergriffenen Büschen oder Wurzeln schwingend Halt unter den Füßen suchen, oftmals den Abgrund vor Augen. Immer in Gefahr auf dem rollenden Gestein auszurutschen und dann unweigerlich in die Tiefe zu stürzen haben wir Journalisten genügend Gelegenheit unseren leichtfertigen Entschluss, die Guerillas auf einer ihrer geplanten Kampfaktionen zu begleiten, aus tiefstem Herzen zu bedauern. Tatsächlich sind wir auf diesem Abstiegsgelände allen Blicken sogar vom tiefen Talboden unter uns vollkommen schutzlos ausgesetzt. Niemand von uns scheint sich irgendeinem Trugschluss diesbezüglich hinzugeben. Jeder tut sein Bestes, um so schnell wie möglich auf diesem sperrigen Terrain voranzukommen. Eine einzige Tortur für Rücken und Glieder.

In der Ferne hören wir erneut Hubschraubergeräusch. Aufgeschreckt halten wir kurz inne. Aber es scheint sich eher zu entfernen als näher zu kommen, für den Augenblick jedenfalls. Wie Gejagte verlangen wir uns physische Höchstleistungen ab und schaffen es ohne größere Zwischenfälle tiefer und tiefer den Felshang hinunter, ungeachtet unserer inzwischen arg zerschundenen Hände und Füße.

Plötzlich finden wir uns auf einem kleinen Felsvorsprung wieder, der linkerseits aus einer Vertiefung, einer Felsspalte, herausragt. Aus dem Felseingang winkt uns eine Hand ins Innere. Ich ergreife die Hand und lasse mich hineinziehen. Mich überkommt sogleich ungläubiges Staunen. Ich befinde mich übergangslos in einer riesigen Höhle, die kaum mehr als solche zu bezeichnen ist und eher einer Fabrikhalle gleicht. Überall stehen Anhäufungen von Maschinenanlagen, deren Funktion mir auf Anhieb nicht ersichtlich ist, die aber jeweils umgeben sind von einer Anzahl von Guerilleros, die sie in Gang zu halten scheinen. Einige von ihnen beobachten uns neugierig, andere wiederum scheinen zu beschäftigt zu sein, um uns zu bemerken. Dafür werden wir jetzt von unserem Scheich in Empfang genommen, der uns diesmal so herzlich begrüßt, als ob wir uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hätten. „Hoffentlich haben Sie uns nicht auf diese Route geschickt, um unseren Durchhaltewillen zu testen?“ frage ich ihn mit unterschwelliger Empörung angesichts seines pieksauberen Habitus. Er blickt mich leicht missbilligend an: „Madame, bei aller Anerkennung für Ihren Durchhaltewillen – aber den Fluchtweg, den ich benutze, kann ich wirklich niemandem preisgeben, der nicht zu unserem harten Kern gehört. Er ist im übrigen nur kürzer, aber nicht weniger gefährlich als der, den Sie hinter sich haben, eher im Gegenteil“. Dabei lacht er breit und freundlich. Ein erstaunlicher Mann, fürwahr!

„Sie müssen sich jetzt entscheiden“, fährt er fort. Es geht um die Teilnahme an einer großen Aktion, deretwegen wir Herrn Bob A. eigentlich auch hergebeten haben: ein Angriff unserer Kamikaze -Einheit auf den Stützpunkt der südlibanesischen Armee Burg Beaufort“. Mir fällt ein: Beaufort ist die gewaltige Ruine einer Kreuzritterburg. Sie diente in den rund 900 Jahren ihrer Existenz wechselnden Kriegsherren als fast uneinnehmbares Refugium und als Ausgangspunkt für zahlreiche epochale Eroberungszüge. „Ich hoffe, Sie wissen worauf Sie sich einlassen bei dieser Beaufort-Aktion. Wir möchten Sie nicht verschrecken, Madame, wir brauchen Leute wie Sie“ meint schließlich der Scheich, nachdem ich meine Bereitschaft zur Teilnahme signalisiert habe. Kurze Zeit später lädt er mich zu einer Tasse Kaffee in einen abgetrennten Nebenraum ein. Hier befindet sich ein bazarartiges Kampfbekleidungs-und Waffenlager. Während er sich selbst gelenkig auf einem Stapel Decken niederlässt, muss ich, um ihm gegenüber sitzen zu können, auf einer Kiste Platz nehmen, über deren Inhalt ich mich keinem Zweifel hinzugeben brauche. Leider kommen kurze Zeit später vier oder fünf Bewaffnete herein und verlangen seine volle Aufmerksamkeit. Ausgerechnet die Kiste, auf der ich sitze, wird nun gebraucht, und dummerweise kommt mein Aufstehen auch einer momentanen Verabschiedung gleich. Meine Reisegefährten haben sich draußen zusammengefunden und Bob empfängt mich mit patronisierendem Kopfschütteln, auf das ich in der Regel sofort allergisch reagiere. „Ihr seid doch alle gleich, Ihr Ausländer. Kleine Alleingänge zur Sicherung der Exklusivität, wie ?“ Ich ziehe es vor, diesmal mit einer Geste gutmütiger Resignation solchen nicht ungewöhnlichen Vorwürfen der Berufskonkurrenz die Schärfe zu nehmen, ausnahmsweise. „Ein Tässchen Kaffee in Ehren“, spöttle ich ihn an und nehme zugleich wahr, dass ich selbigen gar nicht bekommen habe. „Ich habe den Eindruck, die Jungs besprechen da drinnen Kampfstrategien. Dabei habe ich sie höflich allein gelassen. Schließlich sollen sie nicht den Eindruck haben, ich sei hier als Spitzel unterwegs.“ Bob wirft mir einen zweifenden, jedoch auch amüsierten Blick zu, sagt aber nichts weiter.

Der Scheich kürzt unseren kleinen Disput in diesem Moment eh ab und winkt uns zu sich. Er verteilt Teegläser und macht Anstalten mich in die Planungsbesprechung einzubeziehen.

„Unseren Plan haben wir den Israelis abgeguckt“. Er lächelt verhalten. Deswegen bin ich ziemlich sicher, dass er auch gelingt. Er basiert auf dem Prinzip des Trojanischen Pferdes, das werden Sie ja kennen“, und auf meine erstaunte Reaktion hin feixt er mich fast kumpelhaft an. Sie werden es schon merken, wenn es soweit ist. Auf jeden Fall werden Sie eine aktive Rolle haben bei der Attacke auf Beaufort, wir brauchen Sie als Statisten“.

„Aktive Rolle“. Ein heftiger Schreck durchführt mich sogleich. „Oh Gott, sie haben wohl nicht vor, uns im Bauch einer Attrappe ins feindliche Lager hineinzuschmuggeln?“ frage ich zurück, und es gelingt mir nicht einmal ansatzweise, meinen Vorbehalt mit Ironie zu neutralisieren. Mit schwant nichts Gutes. Bob, der offenbar schon über die geplante Aktion informiert ist, legt seinen Arm fest um meine Schulter, als wolle er mich an weiterem Einspruch hindern, und meint beschwichtigend: „Aber Fahrrad fahren kannst du doch ?“.

Der Plan unserer Involvierung ist dann in der Tat so raffiniert wie gefährlich, widerspricht aber vor allem diametral meinen berufsethischen Grundsätzen, nämlich bei all meinen Reportagen in Krisengebieten immer auf dem Neutralitätsprinzip zu bestehen, es sei denn, dass eine unverzichtbare humanitäre Beteiligung dieses Prinzip außer Kraft setzen würde. Mitgefangen ist mitgehangen, geht es mir durch den Kopf. Für Ausbruchspläne ist es jetzt eh zu spät.

Offenbar hat meine Begeisterung über eine mögliche sensationelle Berichterstattung mich jede Vorsicht und den letzten Fetzen regulären Verstandes vergessen lassen. Und jetzt ist mir richtiggehend übel vor Angst und schlechtem Gewissen. Dennoch hänge ich keine zehn Minuten später angstvoll zwischen Himmel und Erde, als unsere Gruppe den Pfad in der Felsenrille um unseren Felsen herum im Mondschein ertasten muss, um wohl oder übel in die Tiefe zu gelangen. Meine Tasche habe ich zurücklassen müssen, dafür hat man mir zwei flache Rucksäcke übergeschnallt, die bei der Kletterei nicht hinderlich sein würden. Wir hatten uns nicht schwarz bemalen müssen, wofür ich dankbar bin. Allerdings hat man mir halbhohe Turnschuhe verordnet, weil meine Straßenschuhe bei unserer Mission vollkommen deplatziert gewesen wären. Meine kleine Spezialkamera trage ich in einem Brustbeutel sicher am Körper.

Die bergsteigerische Bewältigung unserer Pfadrille war fünf -oder sechshundert Meter lang ein durch die Dunkelheit noch gesteigertes reines Himmelfahrtsunternehmen. Während ich zunehmend am ganzen Körper zu zittern beginne, verkrampfe ich mich bei meinen wahllosen Halteversuchen an Wurzeln und instabilen Felskanten, die unter meinem verzweifelten Griff immer wieder zerbröseln.

Nur dem Druck der Nachfolgenden ist es zu verdanken, dass ich mich ohne Innezuhalten und fast blind durch die Lichtunterschiede weiter und weiter durch die Felsrille taste, rutsche und manchmal in Todesangst fast verzweifeln möchte, wenn noch mal eine Wurzel sich aus dem Geröll löst, an der ich eben mein Leben festmachen wollte. Erst als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spüre, als die Felskante vor dem Abgrund sich verbreitert und sich in niederem Buschwerk verliert, denke ich daran, was der Lohn sein würde für unsere Angst.

Durch eine vom Mondlicht mild beleuchtete felsbewürfelte Landschaft gelangen wir ins Tal, wobei wir darauf achten müssen, keine Pfadspuren zu hinterlassen. Bob bemüht sich ausnahmsweise einmal rührend um seinen kleinen Redaktionssekretär, den die Todesstrecke durch die Felsrille offensichtlich noch mehr geschockt hat als mich, vor allem weil er dabei auch noch seine Brille verloren hat. Es gibt eben immer noch eine Steigerung für Schrecken. Und auch ich habe noch lange nicht mein inneres Zittern verloren.

Schließlich stoßen wir auf zwei Männer in der gelben Uniform der libanesischen Straßenbaubehörde, die sofort mit der Entladung von Mountainbikes-Fahrädern beginnen, sobald sie unser Näherkommen registrieren. Wir steigen auf die uns zugeteilten Fahrräder und folgen der Gruppe, die sich bereits auf den Weg gemacht hat. Als seit Kindheit geübte Radfahrerin macht mir dieser Teil unserer Strecke zunächst richtig Spaß .Aber schon bald geht mir durch den Kopf, welchen Preis ich für dieses Abenteuer werde bezahlen müssen. Denn allein schon diese Fahrradnummer geht über die Grenze objektiver Berichterstattung hinaus. Auch mein deutscher Chief dürfte mit meiner allzu aktiven, wenngleich unfreiwilligen Involvierung hier seine Schwierigkeiten haben. Und bei diesem Gedanken verspüre ich schon wieder dieses innere Zittern.

Über Stock und Stein unter kunstvoller Umgehung kraterähnlicher Schlaglöcher gelangen wir schnell durch das etwa zehn Kilometer weite Tal bis zu einer baumarmen Hügellandschaft mit zumeist halbfertigen Betongebäuden. Unser erstes Etappenziel ist ein solches. Die Guerilleros werden dort zunächst in einen Waschraum gebeten, wo die rituellen Gebetswaschungen vorgenommen werden, nachdem ein Barbier ihnen die zumeist eindrucksvollen Bärte abrasiert hat, damit sie während der Vorbereitung der Kampfhandlungen nicht als Kämpfer identifizierbar sind.

Schließlich gesellt sich ein Mullah zu uns, ein älterer Mann, dessen ungeheuer schwarzer Turban über seinen abstehenden Ohren in Schieflage geraten ist und an einer Seite dichtes weißes Haupthaar freigibt. Der Mullah unterrichtet uns nun darüber, dass noch eine weitere Ausländerin, eine Japanerin zu uns stoßen werde und zwar mit dem Munitionstransport und zwölf weiteren Kämpfern. Schließlich holt er eine Reihe schwarzer Stirnbänder und große Handfahnen in intensiven Rot, Grün- und Gelbtönen mit dem kalligrafischen Emblem der Guerilleros hervor und legt sie vor sich auf eine Matratze. Unvermittelt beginnt er mit näselnder Stimme eine Art Segnungszeremonie, ähnlich der, mit der der Muezzin fünfmal am Tag die Gläubigen vom Turm der Moschee herab zum Gebet ruft. Einer nach dem anderen bewegen sich die Kämpfer auf die Fahnen zu, berühren sie mit der Stirn, indem sie sich darauf niederbeugen und richten sich wieder auf, um die Hand des Geistlichen zu küssen und dann an ihre Stirn und an ihr Herz zu drücken. Jedem Einzelnen legt der Mullah daraufhin das Stirnband an und knüpft es eigens fest.

Gleich darauf hören wir Motorgeräusche und das Zuschlagen von Autotüren. Wir verlassen den Raum um die Neuankömmlinge, unter ihnen eine Japanerin, offenbar eine freiwillige Partisanin, zu begrüßen. Der Anführer der Nachhut erklärt uns in kurzen Zügen den geplanten Ablauf der Kampfhandlungen. Einige von uns, darunter Bob, George und ich werden auf unseren Bikes dem inzwischen mit Sprengstoff gefüllten Kombi folgen, ganz so, als seien wir alle auf einem gemeinsamen trekkingtripp. Gleichzeitig sollen sich Guerillos auf den umliegenden Bergrücken positionieren und bei unserem Näherkommen die Festung von allen Seiten unter Feuer nehmen. In dem Kugelhagel sollen wir auf unseren Rädern verständlicherweise zurückbleiben, während der Fahrer des Kombi bis an den Außenposten der Festung weiterfahren und dort um vermeintlichen Schutz vor den Guerilleros bitten wird. Nach dem Abstellen des Kombiwagens muss er sofort versuchen sich aus der Stacheldrahtumzäunung herauszuretten, weil die Guerillos von ihren umliegenden Stellungen aus das abgestellte Fahrzeug nach wenigen Augenblicken in Brand schießen und damit zur Explosion bringen würden.

In der allgemeinen Verwirrung sollte eine weitere Kampftruppe der Guerillos den Außenposten der Burg erklimmen, alles niedermachen, die Fahnen hissen, etliche Gebäude in die Luft jagen und dann möglichst schnell wieder hinunter zu den vorher in einem Feld verborgenen Fahrrädern gelangen, bevor die Gegenseite Zeit zu reagieren hätte. Alles weitere dann vor allem die Flucht insgesamt läge dann in unser aller persönlichem Ermessen. Einen Sammeltreffpunkt dürfe es aus Sicherheitsgründen nicht geben. „Also wenn das normalerweise der Preis ist für journalistische Frontberichte in diesen Regionen“, beschwere ich mich bei Bob, „ dann wundert es mich nicht, dass wir so selten welche zu sehen kriegen. Unmöglich finde ich vor allem dieser ungeordnete Rückzug, so eine Art letzter Befehl nach dem Motto "Rette sich wer kann". Erst rekrutieren uns die Brüder mehr oder weniger zwangsweise und dann überlassen sie uns der Vorsehung. Und erwarten hinterher eine wohlwollende Berichterstattung. Gefälligst! Das ist Fatalismus in seiner wahrhaft schönsten Form.

Bob scheint leicht zu frieren in der feuchten Morgenluft , denn er schüttelt sich und übt Laufschritt im Stand, hat dabei aber immer noch genug Luft, um mir mal richtig die Meinung zu sagen: „Ihr westlichen Westentaschenjournalisten seid irgendwie falsch gepolt. Ihr seid allzu sanft gebettet auf den Ruhekissen eures Systems. Ihr lobt Euch über den Klee in eigener Sache und euer schläfriges Publikum macht höchstens mal die Augen auf, um mitzujubeln. Dann kommt Ihr hierher, erlebt die Realität, über die ihr zum eigenen Ruhme auch berichten wollt aber dann gefällt Sie euch nicht und Ihr jammert los. Beklagt euch über unsere Prinzipienlosigkeit. Macht es Euch doch zuhause gemütlich bei Euren quotengesicherten Leibrenten und verkauft Euren Lesern oder Zuhörern immer wieder die gleichen traurigen Geschichten aus der Dritten Welt. Da können eure fetten Safarijournalisten Krokodilstränen verströmen über den Hunger in der Welt, ohne dass sie davon im geringsten betroffen sind. Toll!. Ich jedenfalls hab noch keinen von denen mal in die eigene Tasche greifen sehen, um wenigstens den Opfern zu helfen, mit deren Fotos sie hinterher das große Geld machen. Eure Prinzipien sind die der Banken und Versicherungen, mein Mädchen. Lasst uns damit in Ruhe, auf eure zumeist tendenziell gefärbten Berichte können wir hier verzichten.“

Mein beabsichtigter Protest bleibt für den Augenblick in der Luft hängen, denn der Kombifahrer besteigt nun sein Fahrzeug und wir werden aufgefordert unsere Fahrräder zu besteigen und in seinem Windschatten mitzuradeln. Scheinbar gibt jemand der Japanerin den Wink, neben mir zu bleiben, denn sie steigt irgendwann ab um auf mich zu warten und witzelt durchaus wohlwollend über meine mangelnde Kondition, als wir nebeneinander weiterfahren. „Wie sieht denn nun der genaue Plan aus“, frage ich sie. „Ich sehe hier nichts, was uns vor den Ferngläsern der Burgverteidiger verbergen könnte. „Wir wollen gleich an einer ausgemachten Stelle vier kleine Zelte aufschlagen“, gibt sie Auskunft. In der Regel lassen die Israelis so etwas nicht zu und schicken sofort einige Patrouillenfahrzeuge, um uns zu vertreiben, solange wir ihnen glaubhaft signalisieren können, dass wir Studenten sind, die hier einfach nur campen wollen. Noch bevor sie allerdings reagieren können, wird von den umliegenden Hügeln das Feuer auf sie eröffnet. Den restlichen Plan kennst du im wesentlichen. Für die Flucht ist jeder für sich selbst verantwortlich“. Wieder wird mir flau im Magen und ich spüre wie mir der Schweiß ausbricht.

Nach einer anstrengenden Fahrt bergauf erreichen wir die Berghöhe und verharren einen kurzen Augenblick, um die auf einem Bergkegel vor uns liegende Festung Beaufort in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Kilometern zu betrachten und die baumlose Graslandschaft davor, die wir nun zügig auf einer einspurigen Landstraße durchqueren müssen.

An einem trocknen Bachbett weniger als einen Kilometerunterhalb der Festung sind die Gotteskämpfer schon dabei, silbern glänzende Sturmzelte aufzuschlagen. Wenige Minuten später ermahnt uns ein Guerillo nicht auf die Blinkmorsezeichen zu achten, die jetzt von der Festung abgegeben werden, sondern uns mit der Vorbereitung unseres Picknicks zu beschäftigen Doch schon kurze Zeit später verwandeln die ersten Maschinengewehrsalven unser angespanntes Morgenidyll in ein Inferno. Die Japanerin schreit nun, wir sollen alle hinter dem Kombi her in Richtung Festung laufen. Die Guerillos, die vor uns laufen, tragen jeweils in der linken Hand eine runde Kugel. Einer von ihnen hat eine große Kabelrolle auf dem Rücken. Bob und ich versuchen ihnen so weit wie möglich auf den Fersen zu bleiben, wobei es mir immer wieder gelingt, die kämpfende Truppe vor mir aus der Hockstellung heraus von unten zu filmen. Das dynamische Mikrofon wird auch die Kampfgeräusche akustisch richtig wiedergeben. Je höher wir kommen, desto heftiger schlagen über uns und neben uns die Projektile ein und zwingen uns mitunter zu ganzkörperlicher Bodenhaftung, Die Gotteskämpfer schwingen nun in immer schneller werdenden kreisenden Bewegungen ihre Kugeln und lassen sie dann durch die Luft schwirren bis sie ihr Ziel innerhalb des Festungspostens erreichen und sich in einem Feuerball entladen. Es folgt Explosion auf Explosion. Plötzlich höre ich Bob aufschreien. Er hat beide Hände vors Gesicht geschlagen, und schwankt bei dem Versuch aufrecht stehen zu bleiben. Zunächst scheint alles glimpflich abgelaufen zu sein. Sein Brillengestell ist allerdings zerbrochen und Glassplitter sind über seine Kleidung verstreut. Vermutlich sind aber auch Glassplitter in sein rechtes Auge gelangt, so dass er über große Schmerzen klagt.

Jetzt hören wir plötzlich eine Art Jubelschreie. Ich habe den Eindruck, dass die Gotteskrieger den Außenposten tatsächlich überrannt haben. Ich teile meine Vermutung Bob mit und meine Absicht, dies noch filmen zu müssen. “Ich bin in wenigen Minuten zurück“, versichere ich ihm und bin erleichtert, dass Bob mich voller Verständnis aus der Pflicht, ihm beizustehen, entlässt.

Wenige Minuten später bin ich oben an der Festungsmauer angelangt, die an zwei Stellen so stark getroffen wurde, dass es mir gelingt, über die herabgefallenen Bruchsteine hinaufzuklettern. Die Einnahme des Außenpostens ist offenbar leichter gewesen, als es sich die Guerillas das vorgestellt haben, denn sie stehen ganz locker herum. Aber unvermittelt treten sie dann den Rückzug an, nachdem sie noch einige Fahnen in die zerborstenen Einschussstellen der Brüstung gesteckt haben und noch einige Gebäude zur Explosion gebracht haben. In aller Eile bemühen Bob und ich uns den Berg hinunter in die Grasfelder zu gelangen und finden schließlich nur wenige hundert Meter vom Bachbett entfernt einen Unterschlupf in Form zweier narbiger aneinandergelehnter Felsbrocken. Dort haben wir Platz genug, um einige Stunden abzuwarten bis sich die Aufregung draußen gelegt hat.

Es ist fast Mittag als wir plötzlich unter uns Stimmen hören, englische Wortbrocken. Elektrisiert richten wir uns auf und lugen Richtung dieser unverhofften Zivilisationsverheißung. Eine kleine Gruppe von Frauen und Männern stehen im ausgetrockneten Bachbett, gebeugt über irgendwas, das ihr Interesse so sehr in Anspruch nimmt, dass sie offenbar von der Problematik ihrer Umwelt noch nichts wahrgenommen haben. Das Zusammentreffen mit Zivilisten ist unsere Chance. Die Gruppe wendet sich bass erstaunt uns zu. „Wir befinden uns alle hier und jetzt in größter Lebensgefahr“ beginne ich hastig, „wir sind Jounalisten und gerieten ins Kreuzfeuer von Guerillos und Verteidigern der Burg“, behaupte ich. Seit Stunden haben wir uns hier unter diesen Felsen verborgen.

Im Augenblick ist es ruhig. Wir müssen aber sofort hier weg.“ Den Mienen unserer neuen Bekannten – einem Hochschullehrer-Ehepaar an der Universität in Beirut, in Begleitung einer Gaststudentin- ist abzulesen, dass unser abenteuerliches Äußeres nicht eben ihr Vertrauen erweckt. Dennoch sind sie zu unserer großen Erleichterung bereit, Bob und mich mit ihrem PKW, den sie am Ausgang des nächsten Dorfes abgestellt haben, auf ihrer Rückfahrt nach Beirut mitzunehmen. Bob zögert einen Augenblick, im Kampfgetümmel haben wir zu seinem größten Kummer seinen Assistenten verloren, schließlich nickt er und nimmt wie ich das Mitfahrangebot erfreut an.