Kurzgeschichte: Das Bombenmassaker in Kana (Libanon)

Kurzgeschichte: Das Bombenmassaker in Kana (Libanon) (mit Auszügen aus dem Buch „Eine Kriegsberichterstatterin im Nahen Osten“) Als ich in mein Hotel zurückkomme, erhalte ich die Nachricht von dem Bombenmassaker nahe der Stadt Kana. Danach hätte Israel nach einem Feuerwechsel mit der Hisbollah an seiner nördlichen Grenze ohne Vorwarnung einen Außenposten der UN-Friedenstruppen nahe der biblischen Stadt Kana bombardiert. Dabei waren nicht nur einige Soldaten des dort stationierten Regiments, sondern auch eine erhebliche Anzahl von Anwohnern getötet oder verletzt worden.

Mein Kollege Tech, begleitet von seinem Kameramann, war eben dabei, seinen Jeep zu besteigen, um noch am frühen Nachmittag die betroffene Bevölkerung in und um Kana zu interviewen, als ich ihn von der Hotelhalle aus bemerke. Welch ein Glück. Ich nutze sofort die Gelegenheit und bitte ihn eindringlich mich mitzunehmen, zumal ich so auf die Schnelle keinen eigenen Kameramann hätte in Marsch setzen können.

Er hätte zumindest nichts dagegen, sagt er schließlich gnädig. Nach kurzer Fahrt befinden wir uns fortgesetzt in der einen oder anderen Wagenkolonne von nach Kana eilenden Politikern und Journalisten, letztere wie immer bemüht, alle anderen zu überholen, um als Erste die Story in den Kasten zu bringen. Also macht auch Tech beim Rennen um den ersten Platz aus vollem Herzen mit und rast mit seinem ziemlich schlecht gewarteten Fahrzeug über die mit Schlaglöchern übersäte Autobahnpiste, so dass wir andauernd von unseren Sitzen fliegen und uns schon nach kaum zwanzig Fahrtkilometern gehörig die Knochen knacken.

Etwas später mündet der Highway in eine zweispurige Landstraße, und von da an verlangsamt sich unsere Fahrt merklich, schon wegen der zunehmenden Präsenz libanesischer Armeefahrzeuge. Als wir Tyrus erreichen, versperrt uns eine Armeebarrikade den Weg, und es dauert mindestens eine Stunde, bevor man uns weiterfahren lässt. Aus der Gegenrichtung passiert eine Vielzahl von Ambulanzfahrzeugen ungehindert die Sperre, oftmals gefolgt von Angehörigen der Verletzten im Privatwagen in abenteuerlichem Zustand.

Etwa achthundert Meter vor dem Ortsbeginn von Kana hat eine Armeestaffel Position bezogen. Von hier aus würden uns jetzt zwei Soldaten zusammen mit sechs oder sieben weiteren Journalisten zu Fuß zum Ort des Geschehens eskortieren.

Das Grauen kündigt sich an durch einen aus der Entfernung seltsam klingenden Singsang hoher Stimmen, und je näher wir der Stelle kommen, die von der israelischen Luftwaffe bombardiert wurde, desto mehr ähnelt der Stimmenwirrwarr dem von großen Menschenansammlungen in Fußballstadien. Der Ort des Geschehens ist dann auch dicht an dicht mit Menschen übersät, die sich aus allen Richtungen aneinander vorbeidrängen. Dann stehen wir vor dem Areal, das noch heute Morgen ein überdachter UN-Schutzraum gewesen ist. Der Anblick der Katastrophe ist jenseits jeder Vorstellung und verschlägt auch uns Journalisten den Atem.

Vor uns liegen in einer seltsamen Verknäuelung von menschlichen Gliedern, Kleiderhaufen, zerfetztem Dachmaterial, Schuhen und Küchenutensilien aus buntem Plastik tote Frauen und Kinder in einer Vielzahl, die mir zunächst überhaupt nicht realistisch erscheint. Offenbar haben alle diese Menschen ihren Glauben an die Schutzfunktion der UN-Friedenstruppen hier an der südlibanesischen Grenze mit dem Tod bezahlen müssen, weil die israelische Luftwaffe diese Schutzfunktion nicht respektiert und den auch vom Dach ausgewiesenen UN-Schutzraum gezielt bombardiert hat. Es heißt, dass auch vier oder fünf UN-Soldaten dabei umgekommen seien.

Während ich fassungslos über dieses Leichenfeld starre, kommt mir der Gedanke, dass so die Apokalypse aussehen müsste. Ein atemberaubender, eigentümlich süßlicher Geruch von verbrannten Haaren und nassem Qualm hängt über dem Leichenfeld. Mir wird übel, und ich spüre, wie mein Magen revoltiert. Als ich mich abwende, um mich seitwärts irgendwo zu übergeben, sehe ich Tech, der gerade dasselbe tut. Wie ein altes Ehepaar halten wir uns danach eine Weile fest, bis wir überhaupt wieder sprechen können.

Dann sehe ich wie Techs Kameramann auf der gegenüberliegenden Seite des Schutzraumes scheinbar ungerührt oder eben auch nur geistesgegenwärtig seine Kamera über das Blickfeld führt. Erst als ich Tech auf ihn aufmerksam mache, bekomme ich gerade wieder Luft und mache Anstrengungen gleichfalls dorthin zu gelangen. Ich stolpere immer noch benommen hinter ihm her. Allerdings haben mir Tech und sein Kameramann die Entscheidung über den blutigen Teil der Arbeit bereits abgenommen.

Als ich meine eigene Kamera in Bereitschaft bringe und sie auf zwei UN-Soldaten richte, die sich bemühen, Leichen in graue Säcke zu rollen und in einer Reihe nebeneinander zu legen, kommt Leben in einen der beiden. Der springt auf mich zu und versucht, mit der Hand mein Objektiv zu bedecken. Der Mann ist offensichtlich entschlossen mir die Kamera zu entreißen. Tech ist mit wenigen Sprüngen neben mir und stößt den Soldaten so kraftvoll zurück, dass dieser sich nicht aufrecht halten kann und zwischen die Leichen fällt. Die Situation gebietet schnellen Rückzug und wir hechten davon.

Wenige Stunden später fand auf Einladung eines prominenten kommunalen Politikers ein Treffen von ausländischen Pressekollegen, arabischen Politikern, Geistlichen und Einheimischen statt, bei dem sich ein für mich brisantes Streitgespräch ergab. Ein Mullah, erkennbar an seinem gewaltigen schwarzen Turban, trat auf mich zu und sagte: „Man sagt ja, dass Sie, Madame, immer sehr sachliche Berichte über uns veröffentlichen - wir sind ja immer sehr dankbar, wenn wir nicht gleich verteufelt werden in der westlichen Presse.“ „Daran sind Sie leider ja selbst auch nicht ganz unschuldig“ erwiderte ich, ohne Zeit zu finden, mich über meinen Bekanntheitsgrad zu wundern.

„Als schiitischer Geistlicher werden auch Sie fraglos der Hisbollah zugerechnet und damit als Provokationspotenzial gegen Israel. Das ist aus westlicher Sicht unverzeihlich“. Der Mullah weicht einen Schritt zurück bei so viel Klartext meinerseits, fährt dann aber fort: „Wenn Sie aber die Ereignisse der letzten dreißig Jahre aus der Retrospektive betrachten und sich dabei ehrlich die Frage stellen, wem das alles denn genützt haben mag, dann ist die Antwort doch sehr einfach, die arabische Seite hat eine Position nach der anderen verloren.

Israel ist in jeder Beziehung immer nur stärker geworden, ein kaum noch angreifbarer Garant für die postkoloniale westliche Weltordnung im Nahen Osten, mithin ein westlicher Nagel in der arabischen Ferse, um es bildlich auszudrücken.“ Im übrigen würden sie auf eigenem Boden gegen israelische Besatzer kämpfen und daher sei nichts legitimer als ein solcher Befreiungskampf. Nach einigen Minuten gesellte sich ein hochgewachsener Mann mittleren Alters zu uns, der sich als beiruter Anwalt vorstellte und seinem Namen nach einer schiitischen Familie entstammte. Der Mullah erklärte sofort ihm gegenüber, dass wir gerade bei der von mir angeblich vertretenen Behauptung angekommen seien, dass eine Katastrophe wie jetzt in Kana als logische Folge des Widerstandskampfes in Kauf genommen werden müsse und von der Hisbollah bewusst provoziert worden sei. „Wollen Sie hier alle meine Worte bewusst verdrehen“ empörte ich mich.

„Moment“ meinte da der Anwalt lebhaft „die Geschichte mit dem südlibanesischen Grenzgebiet stimmt so auch nicht. Was die Israelis mit Sicherheitszone bezeichnen, ist in Wahrheit ein großes und ziemlich breites Stück aus dem vergleichsweise kleinen libanesischen Kuchen. Sie haben es immer dort besonders ausgeweitet, wo sich die ergiebigsten Wasserquellen oder die strategisch besten Hügellagen befinden. Wäre es nicht prinzipiell richtiger, eine Sicherheitszone im eigenen Land zu garantieren anstatt sie im feindlichen Nachbarland zu annektieren und sich dabei dem Hass und den Terroraktionen einer überwältigenden einheimischen Bevölkerung auszusetzen.

Es ist doch seltsam, dass niemand von Euch Journalisten jemals diese Frage stellt und stattdessen immer nur von der arabischen Umzingelung der armen Israelis gefaselt wird, dass einem die Tränen kommen. “Ich erwiderte, dass es da nichts zu fragen gäbe, solange sich die südlibanesische Miliz als Handlanger Israels rekrutieren ließe und verweise leichtsinnigerweise darauf, dass ich selber vor wenigen Tagen diesen Libanesen in die Hände gefallen sei. Eigentlich hatte ich gar nicht gewollt, dass diese Episode an die Öffentlichkeit gerät.

Offenbar war sie unter Eingeweihten in diesem Kreis aber längst bekannt. Mein Gegenüber stierte mich denn auch so an als sei ich irgendein widerwärtiges Insekt und behauptete sogar, ich hätte als Gast der Hisbollah im südlibanesischen Kampfgebiet ein paar israelische Spione als harmlose Journalisten eingeschleust. Höchste Zeit für mich diese gefährliche Diskussion zu beenden und mich aus dem Staub zu machen.